Pronova BKK: Worauf kommt es an, um im Urlaub abschalten zu können?
Thamm: Es gibt mehrere Faktoren, die auf eine nachhaltige Urlaubserholung einzahlen. Aus der Psychologie kennen wir das Prinzip des Detachments. Es besagt, dass eine gedankliche Distanz zur Arbeit wichtig ist, um richtig abschalten zu können. Dabei ist eine gute Urlaubsübergabe das A und O. Techniken wie das Aufschreiben von Projektständen und das Definieren von konkreten Schritten für die Zeit nach dem Urlaub sind wichtige Maßnahmen. Fällt das Loslassen während der Abwesenheit dennoch schwer, hilft es, sich Zeitfenster zu setzen, um möglichen Grübeleien einen begrenzten Rahmen zu geben. Zudem helfen Entspannungs- und Achtsamkeitstechniken, um sich im Moment besser zu verankern, bewusst Grübelschleifen zu durchbrechen und damit das Abschalten zu unterstützen. Darüber hinaus zeigt die Stressforschung, dass sich Menschen am besten erholen, wenn sie ein Urlaubsprogramm wählen, das im Kontrast zum beruflichen Alltag steht – etwa erholen sich Vielsitzende besser, wenn sie in den Ferien aktiv sind. Kleine Mini-Abenteuer, also wohldosierte Herausforderungen, bei denen wir unsere Komfortzone verlassen dürfen, indem wir zum Beispiel eine unbekannte Wanderroute ausprobieren oder in die Landesküche unseres Urlaubsziels eintauchen, tragen ebenfalls zur Erholung bei und verstärken das Abschalten.
Pronova BKK: Sie sagen, die gedankliche Distanz zur Arbeit ist für die Erholung wichtig. Allerdings sieht die Realität laut unserer Umfrage anders aus. Demnach werden zwei Drittel der Berufstätigen durchschnittlich 2,2x im Urlaub kontaktiert. Wie lassen sich unnötige Störungen verhindern?
Thamm: Das Ergebnis finde ich bedenklich. Es mangelt offenbar an klarer Kommunikation. Es sollte besser im Team und mit den Vorgesetzten abgestimmt werden, dass Urlaub als solcher respektiert und nur im absoluten Notfall Kontakt aufgenommen wird. Es ist völlig okay, zu sagen, man möchte in den Ferien nicht gestört werden. Wichtig ist, alle für die Kolleg*innen notwendigen Unterlagen und Informationen im Vorfeld bereitzulegen und klare Anweisungen zu hinterlassen.
Pronova BKK: Allerdings zeigt die Umfrage, dass mehr als jede*r 2. 18- bis 29-Jährige sich gedrängt fühlt, im Urlaub erreichbar sein zu müssen. Mit zunehmendem Alter nimmt das Gefühl ab. Wie kommt das?
Thamm: Jüngere Menschen sind mit digitalen Medien aufgewachsen und erleben oft auch privat einen ständigen Druck der Erreichbarkeit. Soziale Netzwerke lassen die Grenzen der beruflichen und privaten Kommunikation verschwimmen. Ältere Generationen verfügen über einen längeren Erfahrungsschatz, haben nicht mehr so einen Druck, sich in der Arbeitswelt beweisen zu müssen und haben erlebt, dass die Welt sich auch ohne ihre ständige Verfügbarkeit weiterdreht. Hier können die Jüngeren sicher von der gesunden Gelassenheit der Älteren lernen.
Pronova BKK: Mehr als jede*r 4. Befragte berichtet, dass die Erholung nicht einmal 3 Tage anhält. Warum ist das so und wie können Arbeitnehmer*innen von ihrer Regeneration länger profitieren?
Thamm: Urlaub lässt sich nicht auf Vorrat machen, sondern es bedarf regelmäßig kleiner Auszeiten und ein gutes Stress- und Ressourcenmanagement im Alltag. Verankerungsstrategien helfen dabei, die Ferienstimmung so lange wie möglich zu konservieren. Dazu Fotos von der Reise auf den Büroschreibtisch stellen oder ein leckeres Urlaubsgericht kochen, um die Erinnerungen wach zu halten. Noch ein Tipp: Für die An- und Abreise 1-2 Brückentage einplanen, um entspannt in die Ferien zu fahren und auch in Ruhe wieder anzukommen. Zudem kann es für eine angenehme Rückkehr hilfreich sein, an einem Mittwoch zu starten. Dann ist das Wochenende, also die nächste Erholungspause, nicht mehr so weit entfernt – Körper und Geist können sich wieder erholen.