Regret­ting Mother­hood: Die Mutterschaft bereuen

Ein Baby zu bekommen, gilt in unserer Gesellschaft als eines der größten Geschenke. Aber es gibt Frauen, die bereuen, Mutter geworden zu sein. Das sogenannte „Regretting Motherhood“ ist immer noch ein Tabuthema.

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Ein Baby zu bekommen, gilt in unserer Gesellschaft als eines der größten Geschenke. Aber es gibt Frauen, die bereuen, Mutter geworden zu sein. Das sogenannte „Regretting Motherhood“ ist immer noch ein Tabuthema.

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Regret­ting Mother­hood: Das steckt dahinter

Die Wohnung steht Kopf, die Kita ist mal wieder geschlossen, und das Kind wälzt sich in einem Wutanfall auf dem Boden – wohl alle Eltern kennen solche Situationen. Da kann man sich schon einmal ganz weit wegwünschen. Vielleicht trauerst du an solchen Tagen auch deinem alten, selbstbestimmten Leben hinterher. Es ist normal, dass Eltern nicht ständig glücklich sind und ab und an verzweifeln. Etwas anderes ist Regretting Motherhood oder Regretting Parenthood. Mütter oder Väter, die davon betroffen sind, lieben ihre Kinder. Aber sie empfinden ein starkes, andauerndes Bedauern darüber, dass sie eine Familie gegründet haben. 

In Deutschland gibt es viele Eltern, die am liebsten die Zeit zurückdrehen würden. In einer Umfrage von YouGov aus dem Jahr 2022 stimmte jede*r 5. der Aussage zu, dass sie lieber keine Kinder bekommen hätten, wenn sie heute noch mal die Wahl hätten.

Ursachen für Regret­ting Mother­hood

Ambivalente Gefühle gegenüber seinen Kindern zu haben, bedeutet nicht, dass man seine Rolle als Mutter oder Vater grundsätzlich infrage stellt. Das tut man allerdings bei Regretting Motherhood oder Regretting Parenthood.

Doch warum bedauern so viele Menschen ihre Elternschaft? Die Familienpsychologin Nina Grimm nennt einen wichtigen Grund: „Es ist schwer, sich auszumalen, was Mutterschaft bedeutet.“ Die Verantwortung, die schlaflosen Nächte, die Belastungen – davon würden viele überrollt. Hinzu kämen die überzogenen gesellschaftlichen Erwartungen an die Mutterschaft. „Über die negativen Auswirkungen, die das Elternsein hat, wird viel zu wenig gesprochen.“

Regretting Motherhood kann durch äußere Faktoren verstärkt werden:

  • Care-Arbeit wird immer noch nicht gerecht verteilt. Meist lastet der Großteil auf den Schultern von Frauen. Laut einer Studie der Bundesstiftung Gleichstellung erledigen sie 9 h mehr Care-Arbeit pro Woche als ihre Partner.
  • Weil sie weniger verdienen (Gender Pay Gap), bleiben sie nach der Geburt eines Kindes eher zu Hause oder arbeiten in Teilzeit. Deshalb leiden besonders Frauen unter Regretting Parenthood.
  • Die Gesellschaft erwartet, dass man Kinder bekommt. So entscheiden sich auch Frauen dafür, die keinen tiefen Wunsch verspüren, Mutter zu werden. 68 % der kinderlosen Frauen fühlen den Druck, sich für ihre Kinderlosigkeit zu rechtfertigen.
  • Die Fremdbestimmung durch Kinder ist groß. Man hat nur noch eingeschränkten Freiraum für die eigene berufliche und persönliche Weiterentwicklung.
  • Vielen fehlt die Unterstützung durch ein soziales Netz und die Betreuungssituation in Kitas und Co. lässt oft zu wünschen übrig. Für Unter-3-Jährige fehlen in Deutschland rund 300.000 Kitaplätze.
  • Menschen bekommen generell wenig Anerkennung für Erziehungsarbeit.

Doch Vorsicht vor Missverständnissen! Regretting Motherhood muss nicht von schwierigen äußeren Umständen abhängen. Auch Eltern, die nicht unter belastenden Faktoren leiden, können die Elternschaft bereuen. Einfach weil sie unter der Fremdbestimmung leiden oder sich mit der Rolle der Mutter oder des Vaters nicht richtig identifizieren können.

Ehrliche Fragen, bevor man Mutter wird

Damit Frauen Kinder nicht aus den „falschen Motiven“ bekommen, rät Nina Grimm ihnen dazu, sich vorher 2 Fragen ehrlich zu beantworten:

1. Ein Kind verändert alle Lebensbereiche unumkehrbar: Beziehung, Freundeskreis, Beruf etc. Frage dich, ob du das wirklich möchtest.

2. Sehnst du dich wirklich danach, Mutter zu sein, oder meinst du, du müsstest gesellschaftliche Erwartungen erfüllen?

Tabu­thema

Wiebke Schenter geht offen mit dem Thema Regretting Motherhood um. Und hilft damit auch anderen jungen Frauen, für sich die richtige Entscheidung zu treffen. „Die wenigsten trauen sich, offen und ehrlich darüber zu sprechen. Das hängt auch damit zusammen, dass mit Regretting Motherhood das Bild einer egoistischen, nicht liebenden Mutter verknüpft ist“, erklärt Familienpsychologin Nina Grimm. Tatsächlich handele es sich aber oft um gute und liebevolle Eltern. Sie hätten nur lieber ein anderes Leben geführt.  

Anzeichen für Regret­ting Mother­hood

Du kannst deine Kinder also lieben und trotzdem die Mutterschaft bereuen. Es geht vielmehr darum, dass du dich in deiner Elternrolle nicht wohl fühlst. Dass du die Mutterrolle bereust, merkst du daran:

  • Du findest keine Argumente dafür, warum du ein Kind bekommen hast. 
  • Mal dir aus, die Rahmenbedingungen wären optimal. Du denkst dennoch, dass du lieber nicht Mutter oder Vater geworden wärst. 
  • Du empfindest vor allem Wut und Verzweiflung, zum Teil auch Selbstzweifel und Überforderung.

Abgrenzung zu post­partaler Depression

Einige Frauen leiden nach der Geburt unter postpartaler Depression. Dabei handelt es sich um eine depressive Erkrankung. Mütter, die davon betroffen sind, sind meist emotional labil. Sie entwickeln keine positiven Gefühle für ihr Kind, sorgen sich aber gleichzeitig sehr um ihren Nachwuchs. Die depressive Erkrankung lässt sich gut mit Gesprächstherapien und / oder Medikamenten behandeln. Das ist bei Regretting Motherhood nicht der Fall. Es ist keine Erkrankung, sondern beschreibt einen Rollenkonflikt. 

Rat für Betroffene

Betroffene von Regretting Parenthood leiden unter belastenden Gedanken, über die sie selten sprechen. Es sei normal, dass wir Negatives wegdrücken wollten, sagt Nina Grimm. Aber Gefühle bahnten sich immer ihren Weg. „Es ist sehr lohnenswert, gerade negativ behafteten Gefühlen wie Schuld, Scham, Angst, Versagen und Zweifel Raum zu geben. Dann verlieren sie die Macht über uns“, sagt Grimm, die deshalb dazu rät, diese Gefühle zuzulassen. Außerdem kann Menschen, die von Regretting Motherhood betroffen sind, dies geraten werden: 

  • Akzeptier deine Gefühle und verurteile dich nicht dafür.
  • Versuch, dir Elemente aus deinem „alten Leben“ zu bewahren, soweit dies möglich ist.
  • Nimm deine Bedürfnisse ernst und kommunizier sie. Dazu gehört, auch mal Nein zu sagen. 
  • Sei nicht zu perfektionistisch und schalt auch mal den Kopf aus.
  • Such dir psychologische Unterstützung, wenn du keinen Weg aus den negativen Gedanken findest.
  • Sprich mit Menschen über deine Gefühle, von denen du weißt, dass sie dich verstehen oder nicht verurteilen.
  • Externe Hilfe findest du bei Familienberatungsstellen von Diakonie oder Caritas oder bei Pro Familia

Nachrichten

Jetzt mal ehrlich – der Realtalk-Podcast

Von Regretting Motherhood betroffen ist auch die Zweifach-Mutter Wiebke Schenter. Sie tauscht sich in unserem Vodcast mit der Familienpsychologin Nina Grimm über ihre Gefühle und mögliche Lösungswege aus. Wiebke Schenter sagt ganz offen: „Mit meinem Wissen von heute, was Mutterschaft bedeutet und was es mit mir macht, würde ich sagen, dass ich die Mutterschaft bereue. Mir ist der Preis zu hoch, den ich dafür zahle.“